Samstag, 9. Januar 2010

Erinnerung an Mexiko und Trinidad y Tabago

Mexiko war in Bezug auf soziale und politische Unruhen nie eine Insel des Friedens gewesen. So hatte ich zu Beginn meiner Tätigkeit im Ökumenischen Studienwerk von einem jungen Mann gehört, der wegen seiner Beteiligung an einem Protest mexikanischer Arbeiter (Hungerstreik) im August 1967 verhaftet und im März 1969 zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Davon verbüßte er 4 Jahre und 3 Monate. Mit Hilfe der Jesuiten gelang es ihm, das Land zu verlassen. In Europa begann dann eine Odyssee von INODEP (Paris) bis Misereor (Aachen). 1977 waren Einrichtung und Archiv des Centro Nacional de Comunicación Social - CENOS -, einer ökumenischen Initiative, die zwei Jahrzehnte lang die Arbeit der Kirche in Mexiko dokumentiert hatte, von Polizeikräften vernichtet worden. Auch CELADEC - Comisión Evangélica Latino-americana de Educación Cristiana - sowie das Büro von CAREF - Asistencia a Refugiados Latino-americanos vinculado al Alto Comisariado de la UNO - hatten die Invasion polizeilicher Kräfte über sich ergehen lassen müssen.
Zweck meines Abstechers nach Mezzoamerika im August 1978 war es, im Gespräch mit Vertretern der Kirche, der Flüchtlingsorganisationen und der Universitäten auszuloten, welche Ansätze es für eine eventuelle Förderung von gefährdeten Argentiniern in diesen Ländern gab. Ein wichtiger Gesprächspartner in Mexico City, Casa del Pueblo Argentino, war Prof. Dr. Rodolfo Puiggrós, ein exilierter Publizist aus Argentinien, unter Perón Rektor der Universidad de Buenos Aires. Das esquema de segururidad im Domizil des illustren Argentiniers ist mit gut in Erinnerung geblieben: Die guarda costa des Prominenten unterzog mich spürbar einer gestrengen Kontrolle - ich konnte ja auch ein Agent des Feindes sein (seit Trotzki war man da in Mexiko besonders alert!). Für die Haltung der Exilargentinier mußte man Verständnis haben; war es doch vorgekommen, dass „Infiltrationsversuche" entdeckt wurden. Im Januar 1978 setzte der argentinische Geheimdienst einals Flüchtlingsgruppe getarntes Kommando nach Mexiko in Marsch, mit dem Auftrag, Rodolfo Puiggrós zu liquidieren. Andererseits mußte man auch feststellen, dass die Exil-Organisationen in Mexiko und Costa Rica von Montoneros dominiert wurden, die ihrerseits frühere Dissidenten mit dem Todesurteil bedacht hatten.
Eine Bemerkung zu Trinidad y Tabago, die sich in meinen Reisenotizen findet „Gerade regnet es, dass es rauscht. Es ist ungemein schwül in Port-of-Spain. Der Regen soll so schnell wieder aufhören, wie er gekommen ist, sagen die Leute. Ich delektiere mich über den hausinternen Musikkanal derweil mit einer edleren Abart der in der Karibik typischen „Benzintonnenmusik" - ich habe sie so getauft, weil der Rhytmus auf tin drums - die aus alten Benzinfässern gefertigt worden sind - geschlagen wird. Eine Schallplattenaufnahme der Trinidad Troubadors - Over & Over, einer mitreißenden Interpretation des calypso, wird mich ebenso nach Hause begleiten wie die des Huiggins Pan-Demonium Steel Orchestra des Holiday Inn Trinidad W.I., a very special „kinda music".
In Trinidad - nur sieben Meilen von Venezuela entfernt und wie dieses zu den Petroleum fördernden Ländern der Erde zählend - sind die meisten Menschen von schwarzer Hautfarbe oder dunkelbraun, entweder afrikanischer oder indischer Herkunft. Über zwei Generationen war in Trinidad alles „britisch" bestimmt. Im Jahrhundert zuvor allerdings sassen auf der Insel noch die Spanier. Wie ich es von meinen Besuchen in Indien her kannte, gab es - z. B. am Flughafen - in der ehemals britischen Kolonie viel Formalismus und Bürokratie („Do not step beond this line ..."). Eine Aufenthaltsgenehmigung wird nur für drei Tage erteilt, wogegen man in den lateinischen Ländern des Subkontinents automatisch eine Aufenthaltsgenehmigung für 30 - 90 Tage in den Pass eingetragen bekommt. Die penible Fliegenbeinzählerei der Funktionäre in Port-of-Spain ist wahrscheinlich - wie auch in Indien oder Burma - englisches Erbe.
In Trinidad wurde ich vom kath. Erzbischof Anthony Pantin (indischen Blutes), bei dem ich mich zwecks einer visita de cortesia angemeldet hatte, sehr freundlich empfangen und wir haben etwa eine Stunde miteinander geplaudert. Der Erzbischof, jünger als ich, ist so eine Art von Hélder Câmara von Trinidad. Unsere Auffassungen bezüglich der Entwicklungsproblematik deckten sich fast völlig. Als vor ein paar Jahren ein Priester in einem Armenviertel ausfiel, übernahm er, neben seinem Amt als Erzbischof, persönlich die Pfarrei und zog ganz dorthin. Es muß, wie mir seine Haushälterin verriet, recht armselig gewesen sein. Dort lernte der Kirchenfürst die Wirklichkeit des Lebens unterhalb der Mittelstandsgrenze kennen! Noch heute empfängt er die Armen zu Audienzen. Als ich um 9.00 Uhr ankam, warteten vor dem Eingang seiner Residenz, einem schon fast baufällige Holzgebäude aus der Kolonialzeit, unter einer Art von „Vorbau", ungefähr in Dutzend von Bittstellern herum. Ich durfte dann eine Audienz mit einer dicken, schwarzen Frau - Joyce - miterleben und mich mit Fragen am Gespräch beteiligen. Es handelte sich um eine Mutter von sieben Kindern, die von zwei Vätern stammten; sie lebte jedoch ohne Mann. Ein Hurrikan, der in den frühen Morgenstunden über Port-of-Spain gezogen war, hatte ihr Haus, eine Art von Favelahütte an einem steilen Abhang, schwer beschädigt. Nun benötigte sie Hilfe, da sie nicht über das nötige Geld verfügte, um die erforderlichen Reparaturen vornehmen zu lassen. Ihr Hauptproblem war jedoch, dass sie keine Arbeit fand. In ihrem Wohnviertel gab es zwar so etwas wie eine kommunale „Arbeitsfront", ein Programm zur Arbeitsbeschaffungs für die Ärmsten (z. B. Wegebau, wo die Bittstellerin als Wasserträgerin ein wenig hätte verdienen können.) Dort hatte man ihr aber keine Arbeit gegeben. „Der Vorarbeiter", erzählte sie, „hat gesagt, dass er mich einstellt, wenn ich eine Nacht in seinem Hause verbringe. Aber wie kann ich meine Kinder eine Nacht sich selbst überlassen?" Der Erzbischof erklärte mir, der Vorarbeiter stelle nur junge Mädchen ein, die bereit seien, sein Ansinnen zu erfüllen. „Die Vorarbeiter hier bei uns sind identisch mit den Steuereintreibern zur Zeit Jesu, den Zöllnern aus dem Neuen Testament. Sie saugen die Armen unbarmherzig aus." In seinem, seit 1962 unabhängigen, Land sei es eines der größten Probleme, dass die früher Unterdrückten nun selbst zu Unterdrückern würden. „Schlimmer als die Weißen dies getan haben, unterdrücken die Schwarzen ihre Brüder", sagte er, und nannte als ein Beispiel Idi Amin. Aber auch eine Sekretärin beim Karibischen Rat der Kirchen bestätigte mir, dass schwarze Dienstmädchen aus Angst vor schlechter Behandlung nicht bei schwarzen Herrschaften dienen wollten. Übrigens gibt es in Port-of-Spain viele Leute indischen Blutes, neben denen afrikanischer Abstammung. Caribbs sieht man nur selten. (Mein Tee-Kellner war der erste, den ich bewußt wahrgenommen hatte.) Niemand kam als Sklave nach Trinidad, vielmehr waren die Menschen von anderen Inseln zugewandert. Trinidad ist schwarz oder schwarz/braun.
„Heute nachmittag habe ich eineAutofahrt nach San Fernando mehr erlitten als genossen. Der kleine schwarze Chauffeur fuhr wie ein Verrückter. Ein Typ wie aus einem Charly Chaplin-Film! Das Kraushaar zu Zöpfchen geflochten, Bevor wir losfuhren, habe ich ihn zum Essen mit ins Hotel genommen. Offensichtlich war er die im Restaurant herrschende Atmosphäre nicht gewohnt. Er nahm sein Hütchen mitnichten ab, bis ihm eine Kellnerin dezent zu verstehen gab, den Hut müsse er an diesem Ort schon abnehmen. Mit einigem Zögern legte er ihn dann auf meinen Tip hin auf eine Konsole neben unserem Tisch. Durch mein Erscheinen mit ihm wurde ich selbst zur exotischen Person: Was bringt denn der da für einen mit? Glenn ist sein Name - factotum, unicum und Motorist beim CADEC - Christian Action for Development in the Caribbean. Der Ausflug führte ins Zuckerrohrgebiet und zu einer Ölraffinerie - doch angehalten hat mein Fahrer nur beim Umkehren bzw. zum Einkaufen von Zigaretten! Dazu spielte sich die Fahrt auch noch in einem Mini-Austin ab! Ich habe schon manchen wilden Chauffeur erlebt, aber Glenn kann sich auch sehen lassen!
Über die CCC - Caribbean Conference of Churches -, deren Büro in Barbados ich im Anschluss an den Aufenthalt in Port-of-Spain besuchte, kam später die Stipendiatin Michelle John, Internationale Agrarentwicklung, nach Bochum, mit dem Ziel, nach abgeschlossenem Studium in der Beratung kleinbäuerlicher Betriebe, wie sie in Trinidad und Tobago die Regel sind, tätig zu werden. Ihr Praktikum konnte sie im Bereich der Unijuí - Rio Grande do Sul Brasilien - ablegen, und lernte auf diese Weise etwas vom „Sechsten Kontinent" kennen.