Montag, 13. Juli 2009

„SCHWARZES VIEHZEUG" UND „FARBIGES ELEMENT"

Beobachtungen zum Thema *Menschenrecht, Toleranz und Humanität in Lateinamerika

Im Jahr 2000 beging man mit großem Aufwand überall im Land das 500. Jubiläum der „Entdeckung" Brasiliens durch den portugiesischen Seefahrer Pedro Álvares Cabral. Meine erste Begegnung mit der „ilha Brasil" lag fast ein halbes Jahrhundert zurück, so lag es mir daran, nunmehr das Fazit meiner Recherchen über Kultur und Geschichte dieses Landes zu ziehen. Eine Reise nach Argentinien, Paraguay und Brasilien im Jubiläumsjahr führte mir dann noch einmal besonders eindrücklich die Lage der Eingeborenen, der Schwarzen und der Landlosen, der Schwächsten also in der lateinamerikanischen Gesellschaft, vor Augen.
Auf der Plaza de Mayo von Buenos Aires erinnern in das Pflaster eingelassene Symbole an die vielen Menschen, die während der blutigen Herrschaft der Militärs ums Leben gekommen bzw. `verschwunden´ sind. Jeden Donnerstag versammeln sich die „Mütter der Plaza de Mayo" vor dem Regierungspalais zu einem Schweigemarsch. Sie fordern Aufklärung über den Verbleib ihrer Angehörigen und verlangen „Gerechtigkeit". Dazu gehört auch die Verurteilung der Schuldigen, die noch heute unbehelligt auf ihren Posten sitzen. Der Abgeordnete des Nationalparlaments Torres Molina unterstützt die Angehörigen der Opfer des staatlichen Terrors der 70er Jahre mit großem Engagement. Sein Assessor war einer der Exilierten jener Zeit, der bei uns in der Bundesrepublik Aufnahme gefunden hatte. Nürnberger Menschenrechtler pflegen die Verbindung zu den Freunden in Argentinien in besonderer Weise.
„Bis zum heutigen Tag sind wir ein kolonisierter und ausgebeuteter Kontinent", sagte einer meiner Kollegen in Rio de Janeiro. Der Leiter der Staatskanzlei von Rio Grande do Sul, Dr. Flavio Koutzii, sprach in einem Interview, um das ich ihn gebeten hatte, von einer erneuten Kolonisierung Brasiliens. Dazu nannte er ein Beispiel: Die fünf Geldinstitute des Landes, die von den ehemals vierzig brasilianischen Banken übrig geblieben sind, befinden sich heute mehrheitlich in spanischer oder portugiesischer Hand.
Alle Leute sagen, Brasilien sei eine Demokratie, in der Menschen unterschiedlicher Rassen ohne Diskriminierung zusammen leben. In den gängigen Statistiken heißt es, die Bevölkerung setze sich aus 53% Weißen, 34% Mischlingen, 11% Schwarzen und 2% Sonstigen zusammen. Die Zahl der Indios wird mit 300.000 angegeben - bei einer über 160 Millionen zählenden Bevölkerung!
Was die prominente Politikerin Benedita da Silva von der Gleichberechtigung aller Menschen in ihrem Land hält, hat sie mir ein einem Interview in aller Deutlichkeit erklärt: „Man hat uns viele Jahre lang weisgemacht, dass es hier keinen Rassismus gibt, sondern eine Pluralität der Rassen, und dies sei gleichbedeutend mit einer Demokratie. So wurde Brasilien als ein Land angesehen, in dem es keine Rassenvorurteile gibt und bei dem es sich in der Tat um eine Rassendemokratie handelt. Ich führe dies praktisch auf den Mythos der Rassendemokratie zurück. Wir, die von Afrikanern abstammenden brasilianischen Neger jedoch, wissen ganz genau, dass eine solche Feststellung nicht gerechtfertigt und dass jenes Bild von einer Rassendemokratie ein Irrtum ist, weil man, wenn man die Situation unter sozialen Gesichtspunkten betrachtet, eine außergewöhnlich große Anzahl von Ausgeschlossenen finden wird, und unter diesen wiederum befinden sich in erster Linie wir Neger und die Leute aus dem Nordosten."
„Wir tragen" sagte sie mir, „ein Erbe mit uns herum, genau so, wie Sie es in Ihrem Buch beschreiben. Ich habe es genau hier an dieser Stelle gelesen - ich verstehe zwar kein Deutsch, aber Sie benutzen hier ein portugiesisches Wort, so dass ich es lesen konnte. Es ist genau so, wie Sie es hier in Ihrem Buch ausdrücken: „Ware", produto, ein Produkt. („Durch ihre Versklavung hatte man den Schwarzen ihre Identität genommen. Ihr angestammter Name wurde nach der obligatorischen Taufe durch einen christlichen Namen ersetzt; jedoch auch mit einem neuen Namen versehen, blieben sie verkäufliche Ware. Als peças - wie Rinder oder Esel - wurden sie von den Sklavenhändlern bezeichnet. Es handle sich bei den Afrikanern um Leute, die mais tem de bruto que de gente - die wilden Tieren ähnlicher seien als menschlichen Wesen." So äußerte sich die Befragte einmal an anderer Stelle.) „Wir sind tatsächlich ein Produkt, und nur seine Gestalt hat sich verändert: heute sind wir - unter physischen Gesichtspunkten - nicht mehr dieses Produkt, das uns als Sklaven identifiziert, es leben jedoch dort, wo die Mehrheit der Bevölkerung aus Negern besteht, einige Segmente der Schwarzen, in einer weitgehend mit der Sklaverei identischen Situation, in einer Welt des Elends, und der Finsternis, gerade auch auf dem Sektor von Erziehung und Bildung... Wir müssen also feststellen, dass hier die Wurzel allen Übels liegt, auch die Ursache für den Mangel an Toleranz, den wir in der ganzen Welt erkennen."
Im Eingeborenen-Reservat von Inhacorá sprach ich mit dem Häuptling, João Camargo, der einer Gruppe von 800 Kaingang-"Indios" vorsteht. De facto geben die Bürokraten der Nationalen Indianerstiftung den Ton an. Die Kaingang betreiben Subsistenzwirtschaft auf einem Gebiet, das ca. 2.800 ha umfaßt. Vor einigen Jahren waren es noch 5.000 ha gewesen. 2.200 ha haben in der Zwischenzeit die „brancos", weiße Anlieger, die dem „schwarzen Viehzeug", wie sie die Indianer oft verächtlich nannten, von dem Territorium abgezwackt.
Seit sie 1993 als Staatsbürger anerkannt wurden, können die Indios ihr Land wieder selbst bebauen; doch in welchem Zustand haben sie es vorgefunden? Jahrzehntelang wurde der Naturwald von skrupellosen weißen Geschäftemachern abgeholzt. Der Boden wurde durch Monokulturen, wie die für den Export bestimmte Sojabohne, total ausgelaugt. Nur schrittweise kann begonnen werden, auf der Basis der Subsistenzwirtschaft die Grundlage für den eigenen Lebensunterhalt zu schaffen. Es fehlt an allem: an Saatgut und Kleinvieh ebenso wie an landwirtschaftlichen Geräten. Die Indianerschutzbehörde ist ein bürokratischer Wasserkopf. Kaum jemand dort versteht wirklich, was die Indios benötigen.
In Rio Grande do Sul gibt es nur noch 8.787 Kaingang und Guaranis auf einer Grundfläche von 60.330 ha in 17 Reservaten. Für zwei Gemeinden von 336 bzw.24 Eingeborenen muß über die Anerkennung des von ihnen bewohnten Gebietes erst noch durch die Justiz entschieden werden. Wen darf es wundern, wenn sich unter diesen Umständen bei den Indios der Wunsch verbreitet: `Wir wollen in Freiheit leben, wie zu der Zeit ehe der Portugiese nach Brasilien kam!´
Kurz vor dem Besuch bei den Kaingangs hatten, ausgerüstet mit Pfeil und Bogen, Indios in Mato Grosso eine Ortschaft belagert, um zu fordern, „was ihnen gehört": „Dieses Land ist unser!"
In Asunción lernte ich einen Ingenieur kennen, der eine Indianerstiftung leitet. Sein Vater, Leon Cadogan, Sohn australischer Einwanderer, hatte sich in der Indianerarbeit in außergewöhnlicher Weise engagiert und verschiedene Guarany-Sprachen studiert. In den 40er und 50er Jahren, als die Eingeborenen noch schutzlos der Sklaverei ausgesetzt waren, hat er mit Erfolg für das Recht der Indios gekämpft. Am Ende hat er eine umfangreiche Bibliothek über die Geschichte und Kultur der Guaraní-Völker Paraguays, samt einer Art von ethnologisch-anthropologischem Museum hinterlassen. Mit einem Indio fuhren wir in das benachbarte Luque, um dort eine „posada" zu besuchen, ein Grundstück, auf dem die Angehörigen eines Stammes der Guaranis „Unterkunft" finden, bis sie nach Erledigung ihrer Geschäfte in der Hauptstadt wieder in den Chaco zurückkehren können. Wir haben uns freundschaftlich unterhalten und ich erfuhr viel über die Unterdrückung dieser Menschen, deren Vorväter einst die Herren dieses Landes gewesen waren.
Was die Situation der Schwarzen betrifft, deren Vorväter Brasilien als Sklaven unfreiwillig „entdecke" mußten, widerspiegelt ein bezeichnendes Erlebnis, das ich in Porto Alegre hatte:
Im Regierungspalais wurde ich ins Vorzimmer des Chefs der Staatskanzlei weitergereicht, wo man mich bat, ein Weile Platz zu nehmen; vor mir sei nur noch eine Dame, eine Schwarze, an der Reihe. Als ein Sekretär auf der Bildfläche erschien, wandte sich dieser sofort mir zu, und fragte höflich, ob ich ein Glas Wasser annähme, worauf ein livrierter Diener mir artig cafézinho und Wasser anbot. Meine Nachbarin, neben der ich auf dem obligatorischen Ledersofa sass, hatte Glück, dass auch für sie ein Espresso samt einem Glas Wasser abgefallen war. Ich raunte ihr zu: „Da sehen Sie die democracia racial. Sie sind Brasilianerin, ich bin Ausländer, Sie waren zuerst hier, während ich erst nach Ihnen eintrat, doch ich habe helle Haut, also werde zuerst ich angesprochen. Vielleicht gibt es bis zum Jahr 2088 ein Gesetz, welches eine derartig offensichtliche Diskriminierung wirklich verhindert!" Damit bezog ich mich auf das `berühmte´ Jahr 1888, in dem am 13. Mai durch die Kaiserin die Abolition verkündet worden war. Obwohl seit der Aufhebung der Sklaverei weit über hundert Jahre vergangen sind, werden die Schwarzen in Brasilien noch immer als Bürger zweiter Klasse behandelt. Dabei sind von je zehn Brasilianern vier von dunkler Hautfarbe. De facto werden 60 Millionen Brasilianern bis heute die vollen staatsbürgerlichen Rechte vorenthalten, vor allen Dingen durch rassistische Mechanismen im Bildungswesen, aber auch auf dem Arbeitsmarkt. Eine ganze Reihe befreundeter Schwarzer haben mir bestätigt, dass sie auf Grund ihrer Hautfarbe entweder ohne Arbeit sind oder - auch als Akademiker - schlechter bezahlt werden als Weiße.
Es war eine schwarze Künstlerin - sie malte und machte Straßen- und Kindertheater - die in der Kurie von Salvador de Bahia genau wie ich auf ein Gespräch mit dem schwarzen Bischof Gílio Felício wartete, die mir im Verlauf unserer Unterhaltung ein paar Bildchen zeigte. Als ich fragte, welche Bedeutung diese Bildchen denn hätten, bedeutete sie mir: Sehen Sie sich das einmal richtig an! Es ist eine Kollektion von Kindern aus Bahia. Sie wählte ein halbes Dutzend solcher Bildchen aus und erklärte: Hier können Sie sehen: Das sind die Kinder von Bahia!" Sie waren alle weiß uns blondschöpfig.
Sogar im Bereich der Kirche sind gelegentlich Beispiele der Diskriminierung von Schwarzen zu registrieren. So berichteten Freunde aus Nova Iguaçú, einer Stadt im Großraum von Rio de Janeiro, in der überwiegend Schwarze leben, mit Abscheu vom Verhalten eines Priesters, der die bereits festgesetzte Trauung eines schwarz-weißen Paares mit der Ermahnung verhindert habe, die jungen Leute möchten sich die Sache doch noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen. zwar verbietet das Gesetz jegliche Diskriminierung aus Gründen der Rasse, und man spricht nicht über die Hautfarbe des andern. Wie die Katze um den heißen Brei herum schleicht, windet man sich, wenn es um die Frage der Rasse geht. Am Ende bezeichnet man den Neger dann vorsichtig als ein elemento de cor - ein farbiges Element! So redet man sich ein, „Neger" gibt es in der Gesellschaft einfach nicht, darf es nicht geben! Es ist genau diese Haltung, die den vehementen Protest Beneditas hervorruft und sie fordern läßt: „Wir wollen wahrgenommen werden! Wir wollen als negros wahrgenommen werden!" Als Da. Benedita dies ausrief, dachte sie wahrscheinlich nicht daran, dass 50 Jahre zuvor Frantz Fanon (Black Skin, White Masks) herausgeschrieene hatte: „Get used to me, I am a Negro!" - Gewöhne dich an mich, ich bin ein Neger.
Die meisten offiziellen Studien ignorieren die Hautfarbe des Betreffenden, was die Analyse erschwert. Das Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística - IBGE - fordert die Befragten auf, selbst die Tönung ihrer Hautfarbe zu bestimmen. Die Schwarzen haben jedoch, wie Benedita da Silva gelegentlich sagt, den subtil herrschenden Rassismus so sehr verinnerlicht, dass sie sich für alles mögliche halten, nur nicht für schwarz. Die Antworten der vom IBGE Befragten sind unglaublich. Sie ergeben ein Farbspektrum, das von einem unbestimmten café-com-leite - Milchkaffee - bis zu einem unverständlichen pardo bebê - babybraun - reicht. Als 1995 das Instituto Datafolha eine Gruppe von Personen nach ihrer Hautfarbe befragte, kamen über hundert verschiedene Antworten zusammen. Es gibt einen technischen Grund, weshalb man die Hautfarbe nicht vom Interviewer definieren läßt: Da es kein biologisches und katalogisierbares Konzept zur Bestimmung der Rassen gibt, böte sich dem Befrager Raum für seine eigenen Vorurteile; dann schon lieber 138 unterschiedliche Hauttönungen! Es ist erfrischend, eine Autodefinition wie die des 41jährigen Volleyball-Fans Isabel zu vernehmen, die ISTOÉ erklärte: Eu sou neguinha. Minha avó era uma mulatona linda e a mãe dela, uma negona - „Ich bin ein Negerlein. Meine Großmutter war eine hübsche Mulattin und ihre Mutter eine Schwarze." Es ist übrigens frappierend zu sehen, dass bereits die Franzosen - mit Blick auf ihre Untertanen in der Karibik - 128 Farbabstufungen registriert hatten!
Im Klassenzimmer haben es weiße Kinder leichter als dunkle, wie diverse Studien beweisen. Auch das schwarze Mädchen Benedita aus der Favela do Morro do Chapéu Mangueira mußte diese Erfahrung machen. Obgleich eine fleißige Schülerin, die ihre Hefte ordentlich führte, die in ihrer Klasse niemand in Kalligraphie übertraf, und der die Lehrerin die beste Note ankündigt hatte, erklärte man ihr beim Schulabschlussfest, es habe sich um einen Irrtum gehandelt. Negro não nasce para saber - heißt es bei Jorge Amado einmal - Der Neger wird nicht zum Studieren geboren! Rassenvorurteile gehören übrigens zu den Eigenschaften der Erwachsenen - und auch der Lehrkräfte! Die meisten Kinder bis zum Alter von 10 oder 11 Jahren besitzen keinerlei Rassenvorurteile, wie ein Kollege aus Porto Alegre, Harald Malschitzky, schon vor vielen Jahren dargelegt hat.
Die Lehrerinnen küssen weiße Kinder dreimal so viel wie Neger. Und auch, wenn es um die Religion geht, erfahren schwarze Kinder, dass sie nicht wirklich dazugehören. Benedita da Silva berichtet: „Als Kind träumte ich davon, bei der Prozession in der Kirche ein Engel zu sein. Ich bin nie ein Engel gewesen, weil die Nonnen sagten, dass es keine schwarzen Engel gibt."
Benedita da Silva, von den Ihren liebevoll Bené genannt, arbeitet mit der Bewegung der Schwarzen daran, für die TV-Werbeprogramme eine Quote von ebenfalls 40% für schwarze Darsteller zu erreichen. Bezeichnend war der Beitrag eines Babalorijá aus Recife, der auf einer Arbeitssitzung der Fundação Joaquim Nabuco, an der ich teilnehmen konnte, einen sehr bezeichnenden Vorfall heftig kritisierte: Für eine Verfilmung des Romans Gabriela, cravo e canela von Jorge Amado hatte man für die Rolle der Gabriela eine schwarze Darstellerin gesucht, am Ende jedoch eine weiße engagiert. Auf die Frage, warum man keine Schwarze für die Rolle einer negra genommen habe, kam die Antwort: „Wir haben mit 80 Schwarzen Proben vorgenommen, doch keine von ihnen besass die erforderliche Fähigkeit." Inzwischen sind gewisse Fortschritte zu verzeichnen. Dominierte in den gängigen Serien ein Image des Schwarzen, das ihn in die Nähe von Kriminellen, Doofen oder auch Verrückten zu stellen pflegte, so kann man Schwarze inzwischen auch in seriösen Rollen (inklusiv Werbespots) sehen. „Hat etwa schon einmal jemand in den Werbespots einen Schwarzen ein Glas Whisky trinken gesehen? Sie erscheinen nur als Kellner, Kriminelle, Pförtner, Hausangestellte oder aufgrund ihrer körperlichen Stärke, etwa beim Boxen, Fußball oder Olympischen Spielen, Nur ganz selten treten sie als Ärzte, Rechtsanwälte, Dichter, Philosophen oder Inhaber politischer Ämter auf", monierte Benedita. In den landesweit (und darüber hinaus: man verfolgt sie sogar in Russia) beliebten novelas - melodramatischen Fernsehserien - werden, wie brasilianische Kritikerinnen bemerken, „die Frauen und Schwarze systematisch als sich selbst entfremdet dargestellt. Steht ein Schwarzer im Mittelpunkt des Geschehens, kann es geschehen, dass diese Rolle von einem schwarz geschminkten weißen Schauspieler gespielt wird. Die Nebenrollen hingegen dürfen die schwarzen Schauspielerinnen ausfüllen: Prostituierte, Chauffeure, Gauner und das Heer der Dienstmädchen und Putzfrauen ... Shampoowerbung in Brasilien zeigt grundsätzlich Frauen mit langem, glattem, duftigem, meist blondem Haar." Die schwarze Frau werde, so die Kritikerinnen von Caipora, „durchgängig als naiv, wenn nicht dumm, abergläubisch, dick und hässlich dargestellt, sie trägt immer eine Schürze und ein Tuch um den Kopf."
In Rio Grande do Sul und Pernambuco führte ich Gespräche mit Angehörigen der Landlosenbewegung (MST), die entweder ein Latifundium besetzt hatten, wo sie dann über viele Monate oder Jahre in primitiven Behausungen aus Planen hausen mußten, oder sich bereits definitiv einrichten konnten und, in einfachen Häusern lebend, bereits ihrer bäuerlichen Tätigkeit nachgingen.
Eine UNO-Statistik belegt, dass Brasilien unter den Ländern der Erde mit der größten Bodenkonzentration in privater Hand an zweiter Stelle steht. Ungefähr 1% der Landeigentümer verfügen über 40% der gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Brasiliens. Dabei handelt es sich um nicht weniger als um 80 Millionen Hektar.
Eine Untersuchung aus dem Jahre 1996 macht deutlich, dass in dem riesigen Land 4,9 Millionen bäuerlicher Familien unterhalb der Armutsgrenze vegetieren. 78% der ländlichen Bevölkerung verdienen pro Tag nicht mehr als zwei Reais, ungefähr zwei DM. Wen darf es da wundern, wenn die Miserablen unter solchen Bedingungen gegen das bestehende menschenverachtende System aufbegehren?
Nach ersten Landbesetzungen haben landlose Taglöhner 1984 die Bewegung der Landlosen (MST) ins Leben gerufen. Im Laufe der mittlerweile verflossenen 15 Jahre gelang es, im Zuge von 2000 Aktionen der Landbesetzung über 200.000 Familien von Landarbeitern auf 7 Millionen ha bis dato ungenutzten Bodens anzusiedeln. Heute leben auf diesen Flächen 20 - 30mal mehr Familien als dies vor der Okkupation der Fall gewesen ist.
Der Weg bis zur offiziellen Anerkennung solcher Okkupationen war nicht nur hart, sondern auch blutig. Die Kirche hat nachgewiesen, dass in den 12 Jahren von 1985 bis 1997 in ländlichen Regionen 1.003 Landarbeiter - Männer, Frauen und Kinder - und Anführer der Bewegung, wie Rechtsanwälte, kirchliche Mitarbeiter und Priester, im Zusammenhang mit Landbesetzungen ermordet worden sind. Weltweiten Protest erregten die der Bundespolizei anzulastenden Massaker von Corumbiara und Carajás. In all den Jahren kam es lediglich in 56 Fällen zu Strafprozessen, und nur 7 Personen wurden verurteilt. Alle übrigen gingen straffrei aus.
Nach diesen Beispielen der Missachtung von Menschenrechten namentlich in Argentinien und Brasilien sei zum Schluß aber auch noch ein persönliches Erlebnis, eine Begebenheit von beispielhafter Toleranz, berichtet: Man hatte für den 12. Februar in der katholischen Kirche von Casa Forte, Recife, die Taufe unserer brasilianischen Enkeltochter angesetzt. Als protestantischer Theologe sollte ich bei der Feier mitwirken. In einem Vorgespräch mit Padre Edivaldo, der ein guter Freund des bekannten Erzbischofs von Olinda und Recife, Dom Hélder Câmara gewesen war, erzählte ich ihm die folgende Geschichte, die mir Dom Hélder einmal berichtet hatte: `Eine Studentin aus Rio de Janeiro, die sich auf die Abfassung ihrer Dissertation vorbereitete, kam in unsere Region mit dem Bewusstsein ihrer geistigen Überlegenheit. Man schickte sie in eine entfernte Gegend, wo sie einem Fischer begegnete, der mit einem Korb voller Fische des Weges kam. Sie begann sich mit ihm zu unterhalten und fragte ihn, ob er wisse, wer der Präsident der Republik sei. Er wusste es nicht. Und wer der Gouverneur des Staates Pernambuco sei. Auch das wusste er nicht. Und wie heißt der Bürgermeister diese Ortes? Wiederum blieb er die Antwort schuldig. Die Studentin verhehlte nicht ihr Erstaunen darüber, dass jemand, der in diesem Lande wohnte, die Namen jener Persönlichkeiten nicht kannte, die doch fast aller Welt bekannt waren. Der Fischer nahm seinerseits ganz gelassen einen seiner Fische aus dem Korb, hielt ihn der Fremden vors Gesicht und fragte: „Weiß die Frau Doktor vielleicht den Namen dieses Fisches?" Sie verneinte. Er holte einen anderen hervor: "Und diesen hier?" Sie verneinte wiederum. „Und diesen dritten hier?" Sie mußte erneut passen. Da sagte der Fischer in aller Schlichtheit: „Dann müssen wir unsere Unwissenheit austauschen!" - Nachdem ich diese Geschichte zum Besten gegeben hatte, wurde ich ohne langes Federlesen eingeladen, die gesamte Taufhandlung zu übernehmen. Eine erstaunliche Offenheit!
Zur festgesetzten Stunde war ich an Ort und Stelle. Padre Edivaldo stellte mich nach der Messe der Gemeinde vor und kündigte an, dass nun der anwesende Pastor luterano aus Deutschland sein Enkelkind taufen werde. Die Gemeinde klatschte kräftig Beifall. Anstatt, wie am Vortag besprochen, bei der Tauffeier anwesend zu sein, sagte mir der Padre nun, es sei doch nicht sinnvoll, wenn er während der Taufe auch zugegen wäre, ich solle die Amtshandlung in aller Ruhe ganz allein vollziehen und zwar ganz genau so, wie es in meiner Gemeinde üblich sei. So wurde das Kind in einer der schönen katholischen Kirchen von Recife im Stil des Kolonialbarocks nach lutherischem Ritus getauft und danach in das Taufregister der römisch-katholischen Gemeinde von Casa Forte eingetragen. Dass der zuständige Kollege diese Form der Taufe in seiner Kirche gestattete, verriet eine ganz außergewöhnliche Toleranz. Er zeigte ein wahrhaft großes Herz! Eigentlich war es aber der gemeinsame amigo Dom Hélder Câmara, der statu invisibile seinen Segen zu der ungewöhnlichen Amtshandlung gegeben hatte!
So wird durch dieses sehr private Beispiel bestätigt, was ein protestantischer Kollege aus Rio mir im Blick auf sein Volk und Land einmal sagte, das allen Unbilden zum Trotz von der Hoffnung auf morgen getragen wird: „Wir sind umgeben von Unwissenheit, Armut und Leiden, und doch sind wir erfüllt von Hoffnung! In unserer Zeit sind es die Armen, die gekreuzigt werden. Der Boden unseres ganzen Kontinents ist von ihrem Schweiß und Blut getränkt, doch eines Tages wird sich erfüllen, worauf wir gehofft haben, und wir werden uns zu einem neuen Leben erheben."

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