Donnerstag, 25. September 2008

Seht, wie die Indios verbrennen!

Dieser Ruf erscholl aus dem Munde eines der Männer, die am 18. Juli d. J. mehrere Hütten eines Guaranievölkchens, das sich an dem im Parque Estadual Serra da Tiririca, Niterói, gelegenen Strand von Camboinha angesiedelt hatte, niederbrannten.
Kaum, dass die Männer der Indiosiedlung sich am frühen Nachmittag auf den Weg zu einer Versammlung begeben hatten, hörten die mit den Kindern zurückgebliebenen Mütter und Großmütter einen Fremden brüllen: Seht, wie die Indios verbrennen! Und schon brannten sechs Hütten der Siedlung lichterloh. Zu dieser Tageszeit befanden sich mindestens 22 Kinder in den Hütten. In panischer Angst rannten die Mütter zu einer der Hütten, aus der hohe Flammen schlugen, um drei darin schlafende kleine Babies aus der Feuersglut zu retten.
Auch die kleine Schule der Siedlung fiel dem Feuer zum Opfer. Darin verbrannten nicht nur die Bücher für den Unterricht in der Guaranisprache und in Portugiesisch, sondern auch die Aufzeichnungen des Häuptlings Darci Tupã über die Geschichte seines Stammes.
Man fühlt sich an die grausame Geschichte der Eroberung Brasiliens im 16. Jahrhundert und an die „Landnahme" durch die berüchtigten „Fähnlein" - bandeirantes - im 17. Jahrhundert erinnert. Damals wüteten die lusitanischen Eroberer im wahrsten Sinne wie die berüchtigten Vandalen im tropischen Paradies der terra nova. Feuer und Schwert markierten die Stationen ihrer langen Märsche ins Indianerland.
Zu den berüchtigtsten bandeirantes gehörten Andre Fernandes, ein ganz verschriener Schlächter, und Antônio Raposo Tavares, von dem es heißt, er habe nicht weniger als 20000 Indios verschleppt. Padre Montoya berichtete über die ungeheure Grausamkeit dieses Sklavenjägers in der Ort^schaft Jesus Maria do Rio Pardo, der die von den Jesuiten errichtete Kirche, in welche sich die Gejagten geflüchtet hatten, kurzerhand anzünden ließ. Wer aus der brennenden Kirche zu entkommen versuchte, wurde mit Säbeln und Macheten gnadenlos erschlagen.
Besonders Jorge Velho, einer der Anführer der Sklavenjäger, war im Landesinneren wegen der grausamen Raubzüge seiner Horden, die alle Dörfer, die auf ihrem Wege lagen, niederbrannten und die Eingeborenen massakrierten, gefürchtet. Er selbst trug um den Hals eine mit menschlichen Ohren geschmückte Kette, um die Zahl der Indios nicht zu vergessen, die er getötet hatte. Wenn er mit seiner Bande ins Hinterland kam, brannte er die wichtigsten Ortschaften nieder und schnitt allen Bewohnern, die er dort antraf, die Kehle durch. Zu Hause wurde er für seine zweifelhaften Heldentaten hoch gepriesen, sogar der Erzbischof von Bahia beglückwünschte ihn dafür, dass er 260 Tapuias geköpft hatte.
Nicht - Minen, Metalle und Edelsteine zu suchen, waren jene bandeirantes mit ihren Streifzügen in Wahrheit ausgezogen, sondern „Stücke" - als welche man in Portugal die Sklaven zu bezeichnen pflegte. Es heißt zwar, Fernão Dias sei am 21. Juli 1674 mit 674 Männern, 66-jährig, noch einmal von São Paulo ausgezogen, um endlich das sagenhafte Gold oder die Diamanten zu finden, von denen so viel geredet worden war; mit 73 Jahren jedoch holte ihn in den Bergen von Minas Gerais der Tod ein. Bei den grünen Steinen, die er unterwegs gefunden hatte, handelte es sich um wertlose Turmaline. In Wirklichkeit waren es Menschenjagden, welche die „Fähnlein" veranstaltet hatten. Auf dem Sklavenmarkt konnten sie ihre Beute zu Geld machen, denn im 16. Jh. war es nicht weniger lukrativ, Herden von Eingeborenen durch die Savannen zu treiben als im 17. Jh. große Rinderherden.
Padre José de Anchieta S. J., der sich vor allem als Erforscher des einheimischen Tupi einen Namen gemacht hat, pries in einem seiner Poeme den Governador, den heldenhaften Anführer seiner Soldaten im wilden Dschungel:
Cento e sessenta as aldeias incendiadas,
Mil casas arruinadas pela chama devorada...
Passado tudo ao fio da espada.
Hundertundsechzig Dörfer niedergebrannt,
Tausend Häuser von den Flammen verzehrt...
Alles der Schärfe des Schwerts übergeben.
Nach Aufzeichnungen der spanischen Krone wurden von den paulistaner Menschenjägern allein in den drei Jahren zwischen 1628 und 1631 im Hinterland und in den Reduktionen über 300.000 Eingeborene verschleppt und versklavt. Ihre aldeias hatte man niedergebrannt.
Der am 18. Juli geschehene Überfall auf eine Eingeborenensiedlung mitten in Niterói, mitten in der vis-à-vis der Copacabanabucht gelegenen Stadt, die durch das architektonische Kunstwerk Oscar Niemeyers - o disco voador (Fliegende Untertasse) - bekannt geworden ist, läßt mit er^schreckender Deutlichkeit erkennen, dass sich die Einstellung vieler ›Zivilisierter‹ gegenüber den Eingeborenen im Grunde nicht verändert hat.
Der kleine Stamm von Guaranies am Strand von Camboinha in Niterói war einst Indianerland. Das kleine Völkchen unter der Führung des Häuptlings Darci Tupã hatte sich an jenem Strand nieder^gelassen, weil sich dort mehrere, in den Augen der Indios heilige Plätze der Guaranies befinden: etliche uralte Friedhöfe. Ein solcher Ort ist den Guaranies nicht weniger heilig als es den weißen Einwohnern eines kleinen Dorfes ihr Kirchhof ist. Was den Hass und die Intoleranz letztlich heraufbeschwört, ist die Habsucht. So war es zur Zeit der bandeirantes und so ist es heute: Kaum hatten sich die Guaranies im April am Strand von Camboinha niedergelassen, kamen des Nachts auch schon die paramilitärischen Banden im Auftrag der Grundstücksspekulanten und drohten alle umzubringen, wenn sie das Gelände nicht unverzüglich wieder verließen. Bereits ein paar Wochen zuvor hatten pistoleiros im Eingeborenenreservat Raposa Serra do Sol, Roraima, Angehörige des Makuxi-Stammes angegriffen, so dass zehn von ihnen, darunter sechs Kinder, verwundet wurden. Hinter diesem bewaffneten Überfall standen erwiesenermaßen mächtige Reisbauern. Niemand wurde für das Verbrechen bestraft.
Angesichts des fast habituellen Rassismus vieler Brasilianer, insbesondere in Bezug auf die índios, ist es umso bewundernswerter, dass sich noch am Nachmittag des verbrecherischen Brandanschlags gegen die Guaranies am Camboinha-Strand von Niterói eine weiße Künstlerin, die namhafte Schauspielerin Priscila Camargo, dort einfand, um den verängstigten Eingeborenen ihre Solidarität zu bekunden. Zusammen mit ihrem Ensemble bot sie den Diskriminierten ihr Bühnenstück Geschichten aus dem Land der tausend Völker dar. In diesem Stück zeigt sie engagiert die Wurzeln der brasilianischen Kultur auf, die sich vor allem aus indigenen, afrikanischen und lusitanischen Elementen zusammensetzt. Mit Texten und Liedern aus diesen drei kulturellen Traditionen versucht sie die Schönheit jener großartigen Mischung aufzuzeigen, die man Brasilien nennt. So wurden der indigene Häuptling Darci Tupã Nunes de Oliveira und die 1955 in São Paulo geborene Schauspielerin europäischer Abstammung, Priscila Camargo, gute Freunde. Nun setzt sie sich auch bei internationalen Menschenrechtsgruppen dafür ein, dass den indigenen Opfern des Rassismus und der Gewinnsucht solidarische Hilfe zuteil werde.
Heinz F. Dressel
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